18 Mar
18Mar
Du bist die Öffnende", sagte neulich jemand zu mir. Auch "die Fluoreszierende", was schon schwerer fassbar klingt. Oder: "Du schreibst nicht, du schaffst Kunstwerke und du passt in keine Schublade. Was du machst ist einzig." Hm... wirklich? Ich lasse diese Aussagen auf mich wirken. Lebe ich doch selbst in meinem Wahrnehmungsuniversum und mache die Dinge halt so wie ich sie mache. Immer auch empirisch, also aus mir heraus, das verleitet offenbar zu neuer ungebundener Form und zu der Aussage, dass ich mehr als ein einfaches Schriftstück verfasse... 
Geschichtenerzählen ist ein uraltes Bedürfnis und Heilserlebnis der Menschen. 

Tatsächlich wunderten sich auch die Chinesen, warum man mir in China so vieles anvertraute. Ich wunderte mich zunächst auch. Doch im Grunde ist es einfach. Der kleine Prinz würde es als Antwort so formulieren: "Weil du mit dem Herzen zuhörst." Ich glaube, so ist es. Ich lausche, liebe und erkenne in der Begegnung restlos an, würdige, spiegle und webe einen flirrenden Energieraum zwischen mir und meinem Gegenüber und trage hernach froh die so gewonnene Herzensbeute nach Hause, verwandle sie in meinen Buchstabentasten zu Schönheit und Sinnhaftigkeit, zu Struktur und zu Glück, seziere den Lebensfaden, ordne das, was hierfür relevant ist und mache daraus: DEINE Geschichte. 

Das Geschichtenerzählen ist eine uralte Tradition und Weise der Menschen. Geschichten dienen sowohl dem Selbstausdruck, als auch dem Mut. Denn manchmal fällt es den Menschen schwer, von sich selbst zu erzählen. Entweder, weil sie nicht gut mit sich in Kontakt sind oder weil sie sich vor fremden Blicken schützen wollen. Eine Geschichte enthüllt Verborgenes. Milan Sladek, ein Pantomimekünstler alter Garde, hat darum in einem Interview mal zu mir gesagt: „Glück ist eine Demaskierung.“ Genau so ist es. Und hier ist die Schnittstelle vom Glück und der Lebensgeschichte. Denn es erfordert Mut, seine Geschichte herzugeben, sie zu durchleuchten, sich der Erkenntnis auszusetzen und sie dann loszulassen. 
Eine Geschichte ist eine Demaskierung

Der Mensch versteckt sich gerne oder beruft sich auf seine Selbstwirksamkeit. Aber eine Geschichte, die Essenz eines Lebens, entsteht ja nie aus sich allein. Ein Mensch ist niemals ohne die Wechselbeziehung mit anderen Menschen, im Guten wie im Schlechten. Warum also nehmen wir es nicht häufiger in unsere Verantwortung, das Beziehungsgeflecht mit einer authentischen Sichtbarkeit zu gestalten? Was haben wir dabei zu verlieren? Den Berichten der Menschen in den Interviews nach zu urteilen gibt es darauf nur eine Antwort: Ich habe das Leben selbst zu verlieren. Es holt einen immer irgendwann in irgendeiner Form ein, wenn man sein Sein mit zu vielen Hüllen und Abschirmung oder Verstellung umgibt. Maskierung ist in Wirklichkeit etwas, das weh tut. Das Fallenlassen der Maske ist ein Aufatmen, kann erst verunsichern und weh tun, ist aber auf jeden Fall ein Schritt ins bewegte Leben. 
In meinen  Kursen sagen die Leute oft froh, aber verwundert: „Ich war noch nie so schnell im Vertrauen.“ Das stimmt, sie kommen sehr schnell in ein sehr persönliches Erzählen. Dafür biete ich einen geschützten Raum, schaffe die Energie. Das tut dann gut. Aber der Raum ist ja nicht immer da. Es geht darum, irgendwann sich auch in anderen Situationen öffnen zu können. Einfach, weil es angenehmer ist authentisch zu sein und weil es weniger Energie verbraucht. Das heißt, unser Sein, unsere Gefühle, unsere gelebten Episoden sind ein Gewebe, das nicht wirklich isolierbar, aber auf wunderbare Art und Weise teilbar ist, um ins Werden, Wachsen und, wenn nötig, ins Heilen zu kommen. 

Während manche den Sinn eines biografisschen Lebensberichtes sehr reizvoll finden, trauen sich aldo andere nicht oder sie sagen: "Mein Leben ist nicht so interessant, ich habe nichts zu erzählen." Oder sie finden: "Ich bin nicht so wichtig:" Das ist schade, denn absolut jeder Mensch kommt sich im Erzählen näher und absolut alles ist für eine andere Person von Relevanz. Natürlich gibt es prallere, weisere und glücklichere Geschichten als andere. Aber in allen stecken Momente, die uns zum Mitfühlen und nachdenken anregen können. 
Erzählte, weiter gegebene Geschichten sind Träger von Hoffnung, Sehnsucht und Werten. Und es kommt wirklich nicht darauf an, ob diese Geschichten groß und lang und voller Drama sind oder ob es sich vielleicht nur um einen kleinen Aspekt oder einen bestimmten Abschnitt im Leben handelt. Die meisten schämen sich für die dunklen Flecken in ihren Geschichten und wollen diese nicht preisgeben. Dabei sind genau diese die Spannensten für den Leser. Nicht aus Nabelschau, sondern weil der Leser sich darin wiederfinden und vielleicht sogar dadurch lernen kann. Schon im alten Griechenland hat man erkannt, welch Kraft eine Tragöide auf der Bühne hat. Schauder und Jammer sollte sie erzeugen. Um das zu unterstreichen hat man sogar eine riesige Theatermaschine, einen Kran eingesetzt. Den Deus ex Machina. Geschichte als Spektakel, um die Seele zu reinigen. Ein Aufseufzen, weil auf der Bühne etwas geschieht, was in der eigenen Brust widerhallt. 
Ich habe daher niemals erlebt, dass eine sehr offen erzählte Geschichte auf ein Naserümpfen gestoßen wäre. Im Gegenteil. Es wurde der Mut gewürdigt, besonders dann, wenn es sich um nicht rühmliche Geschichten handelte. Mir wurde also bald klar, wenn ich die Wahrheit suche, muss ich sie in Geschichten der Menschen suchen. Dort finde ich nicht nur eine Welt hinter der Fassade, ich finde auch nach und nach die Bausteine, die mein eigenes Leben erklären. Und das, was ich daraus nehme, kann jeder Leser meiner Geschichten wieder für sich, so wie er es braucht, herausnehmen. Auf diese Weise hat sich das Porträtieren zur Glücksforschung entwickelt und es ist mir zur Leidenschaft geworden, über die Fallstricke wie die Schönheiten des Lebens zu berichten. 
Mein Stil dabei ist ungewöhnlich und eigenwillig. Er folgt keinen Gesetzen, nur dem: Die Geschichte muss fühlbar werden. Sie muss Liebe enthüllen, einen Sinn und die Worte als Kostbarkeiten jonglieren, jeden einzelnen Buchstaben. Dann wird es eine sparkling story. Vielleicht auch deine.

©️ Simone Harre




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